Mittwoch, 4. Juli 2018

Jesus


Ich bin wieder alleine unterwegs. Diesmal in Chennai. Eine der größten Städte in Indien. Menschenmassen umgeben mich. Überall sehe ich diese bunten Götter. Wie viel gibt es denn da? Das ist ja inflationär. Für jeden Bereich einen Gott!? Nun, kauf ich mir mal so ein paar bunte Bildchen mit den Abbildungen der einzelnen Götter, kann ja nichts schaden. 


Elefantengötter, Affengötter, eine Göttin mit vielen Armen und so weiter. Alles sehr bunt, sehr schön und fröhlich, typisch indisch. Hmmm, und jetzt? Ich laufe weiter durch Chennai und komme mir verloren vor, trotz der unglaublichen Masse von Menschen. Da laufen gefühlsmäßig einhundert tausend in die eine Richtung, scheinbar ziellos in diesem speziellen indischen Schlendergang und auf der anderen Seite der Straße hunderttausende in die andere Richtung. Dazwischen knattern in einem irren Tempo diese kleinen Tuk-Tuks an einem vorbei. Ich sehe Eselskarren, bunte Kühe, schreiende Kinder, Bettler, Hunde, Katzen, Ratten und vieles mehr. 

Ich bin überfordert und sehne mich nach Ruhe. Plötzlich stürmt ein Inder mit wütender Miene schimpfend in meine Richtung. WTF? Ich gehe zu Seite, möchte ihm Platz machen, soweit es in diesem Gewimmel möglich ist. Doch er sieht mich mit brennendem Blick an und schreit aufgeregt irgendetwas in einem für mich unverständlichen Englisch. Ich schaue an mir herunter. Habe ich etwa was Falsches an? Oder habe ich irgendeine Geste gemacht, die sich nicht geziemt in Indien, die ihn vielleicht verletzt hat? Ich verstehe nicht, was er mir mit funkelnden Augen und wütend vorwirft und bleibe einfach ruhig stehen, abwartend, was nun geschieht. 

Da greift er sich meine Bildchen mit all den Göttern und schimpft noch lauter als zuvor. „These are not your Gods! Jesus is your God! You are a Christian, your teaching is the message of Jesus. What do you want with these false Gods?“ (Das sind nicht deine Götter! Jesus ist dein Gott! Du bist Christ, deine Lehre ist die Botschaft von Jesus. Was möchtest du mit diesen falschen Göttern?) Er zerreißt die Bilder und zieht mich am Arm in eine Seitenstraße. Ich bin so überrascht von seiner Aktion, dass ich ihm widerstandslos folge. Meine Gedanken sind noch bei seinem Vorwurf. Wie? Jesus ist mein Gott? Was um Gottes Willen will der von mir? Ein Verrückter? Ich schau ihn mir genauer an. Ok, körperlich kann er mir nicht gefährlich werden. Der wiegt höchstens fünfzig Kilogramm. Also wenn der mich angreift, dann kann er aber was erleben. 

Unbewusst pumpe ich mich auf, was, mit Verlaub gesagt, bei mir schon eindrücklich ausschaut. Da bleibt er stehen, tritt erschrocken einen Schritt zurück und nun ist er an der Reihe irritiert zu blicken. Ich mustere ihn mit meinem „Versuchs-doch-dann-wirst du-eine–Überraschung-erleben-Blick“. Erschrocken nimmt er seine Hände aufs Herz, verneigt sich und sagt betroffen: „Excuse me, I did not want to frighten you. I want to show you something. Would you like to come with me?” (Entschuldigung, ich wollte dich nicht erschrecken. Ich möchte dir etwas zeigen. Möchtest du mitkommen?). Ich lasse die Luft wieder raus und nicke besänftigend. „Yes, I like to come with you!“ (Ja, sehr gerne komme ich mit dir!) Ich folge ihm und er lädt mich in seine kleine Hütte ein, die aus zusammengepressten Blechdosen, Holzpaletten und Kartons zusammengebaut ist. Verwundert trete ich in den Raum, der sehr sauber ist. Der Boden besteht aus festgestampftem Lehm, das Dach ist eine Mixtur aus Brettern, Kartons und Plastikfolien. Den Strom hat er sich selbst angeklemmt, ich sehe das Kabel, das mit Klebeband an einer Hauswand inmitten eines gewaltigen Kabelgewirrs befestigt ist. 

Wie lange stehe ich schon hier? Es ist vollkommen ruhig und friedlich, eine besondere Energie schwingt an diesem Ort. Ich werde ruhig, lege die Hand auf mein Herz, denn ich ahne, dass etwas Besonderes geschieht. Ich blicke zu dem Inder. Er steht vor einem Gerüst aus Holzlatten, das seltsamerweise mitten im Raum steht und von oben mit einem Strahler beleuchtet wird. Erst lächelt er mich erfüllt an, breitet dann die Arme aus und sagt:...


Das oben stehende Erlebnis habe ich aus den vier Bonus Geschichten, die du am Ende des Buches findest, ausgesucht. Es war die Zeit, als es gewaltig gescheppert hat in meinem Leben, da ich meinen "Lebens- Schubkarren" in aller Konsequenz umgedreht hatte (1994). Die Veränderung wurde auch äußerlich sichtbar, denn um mir und dem Umfeld in aller Deutlichkeit zu zeigen, dass etwas neues ansteht, lies ich mir die Haare wachsen, warf alle meine Anzüge weg und machte mich auf die Suche. 

Gefunden habe ich das, was immer schon da war...






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