Ich bin wieder alleine unterwegs. Diesmal in
Chennai. Eine der größten Städte in Indien. Menschenmassen umgeben mich.
Überall sehe ich diese bunten Götter. Wie viel gibt es denn da? Das ist ja
inflationär. Für jeden Bereich einen Gott!? Nun, kauf ich mir mal so ein paar
bunte Bildchen mit den Abbildungen der einzelnen Götter, kann ja nichts
schaden.
Elefantengötter, Affengötter, eine Göttin mit vielen Armen und so
weiter. Alles sehr bunt, sehr schön und fröhlich, typisch indisch. Hmmm, und
jetzt? Ich laufe weiter durch Chennai und komme mir verloren vor, trotz der
unglaublichen Masse von Menschen. Da laufen gefühlsmäßig einhundert tausend in
die eine Richtung, scheinbar ziellos in diesem speziellen indischen Schlendergang
und auf der anderen Seite der Straße hunderttausende in die andere Richtung.
Dazwischen knattern in einem irren Tempo diese kleinen Tuk-Tuks an einem
vorbei. Ich sehe Eselskarren, bunte Kühe, schreiende Kinder, Bettler, Hunde,
Katzen, Ratten und vieles mehr.
Ich bin überfordert und sehne mich nach Ruhe.
Plötzlich stürmt ein Inder mit wütender Miene schimpfend in meine Richtung.
WTF? Ich gehe zu Seite, möchte ihm Platz machen, soweit es in diesem Gewimmel
möglich ist. Doch er sieht mich mit brennendem Blick an und schreit aufgeregt
irgendetwas in einem für mich unverständlichen Englisch. Ich schaue an mir
herunter. Habe ich etwa was Falsches an? Oder habe ich irgendeine Geste
gemacht, die sich nicht geziemt in Indien, die ihn vielleicht verletzt hat? Ich
verstehe nicht, was er mir mit funkelnden Augen und wütend vorwirft und bleibe
einfach ruhig stehen, abwartend, was nun geschieht.
Da greift er sich meine
Bildchen mit all den Göttern und schimpft noch lauter als zuvor. „These are not your Gods!
Jesus is your God! You are a Christian, your teaching is the message of Jesus.
What do you want with these false Gods?“ (Das sind nicht deine Götter! Jesus ist dein Gott! Du bist Christ, deine
Lehre ist die Botschaft von Jesus. Was möchtest du mit diesen falschen Göttern?)
Er zerreißt die Bilder und zieht mich am Arm in eine Seitenstraße. Ich bin so
überrascht von seiner Aktion, dass ich ihm widerstandslos folge. Meine Gedanken
sind noch bei seinem Vorwurf. Wie? Jesus ist mein Gott? Was um Gottes Willen
will der von mir? Ein Verrückter? Ich schau ihn mir genauer an. Ok, körperlich
kann er mir nicht gefährlich werden. Der wiegt höchstens fünfzig Kilogramm.
Also wenn der mich angreift, dann kann er aber was erleben.
Unbewusst pumpe ich
mich auf, was, mit Verlaub gesagt, bei mir schon eindrücklich ausschaut. Da
bleibt er stehen, tritt erschrocken einen Schritt zurück und nun ist er an der
Reihe irritiert zu blicken. Ich mustere ihn mit meinem
„Versuchs-doch-dann-wirst du-eine–Überraschung-erleben-Blick“.
Erschrocken nimmt er seine Hände aufs Herz, verneigt sich und sagt betroffen:
„Excuse me, I did not want to frighten you. I want to show you something. Would you like
to come with me?” (Entschuldigung,
ich wollte dich nicht erschrecken. Ich möchte dir etwas zeigen. Möchtest du
mitkommen?). Ich lasse die Luft wieder raus und nicke besänftigend. „Yes, I
like to come with you!“ (Ja, sehr gerne komme ich mit dir!) Ich folge ihm und
er lädt mich in seine kleine Hütte ein, die aus zusammengepressten Blechdosen,
Holzpaletten und Kartons zusammengebaut ist. Verwundert trete ich in den Raum,
der sehr sauber ist. Der Boden besteht aus festgestampftem Lehm, das Dach ist
eine Mixtur aus Brettern, Kartons und Plastikfolien. Den Strom hat er sich
selbst angeklemmt, ich sehe das Kabel, das mit Klebeband an einer Hauswand
inmitten eines gewaltigen Kabelgewirrs befestigt ist.
Wie lange stehe ich schon hier?
Es ist vollkommen ruhig und friedlich, eine besondere Energie schwingt an
diesem Ort. Ich werde ruhig, lege die Hand auf mein Herz, denn ich ahne, dass
etwas Besonderes geschieht. Ich blicke zu dem Inder. Er steht vor einem Gerüst
aus Holzlatten, das seltsamerweise mitten im Raum steht und von oben mit einem
Strahler beleuchtet wird. Erst lächelt er mich erfüllt an, breitet dann die Arme aus
und sagt:...
Gefunden habe ich das, was immer schon da war...